Der Zielkonflikt: Sicherheit – Naturschutz

Quelle: Ausgabe Die Rheinpfalz Rheinpfalz am Sonntag Vorder Süd – Nr. 61, Seite 05
Datum Samstag, den 3. August 2024

Die Unimogs der Straßenmeistereien mähen das Gras am Straßenrand, damit der Verkehr sicher laufen kann. Doch die Arbeiten töten einen Großteil der Insekten, die dort leben.
Der Landesbetrieb Mobilität und Forscher der Uni Koblenz wollen herausfinden, ob sich mit neuer Technik insektenfreundlicher mähen lässt. Von Michael Konrad

Drei orangefarbene Unimogs mit Mäh-Auslegern stehen Schlange am Rand einer Landstraße, je ein Fahrer einsatzbereit am Fahrzeug. Vor den drei Mähriesen ein drei Meter breiter und 30 Meter langer Grasstreifen, der bei einem früheren Mäheinsatz ausgespart wurde. Drei Unimogs für eine Fläche von der Größe eines Hinterhofs: Das Bild von den Kanonen, die auf Spatzen schießen, es könnte für diese Szene erfunden worden sein.
Um den Tod kleiner Tiere in einem ungleichen Kampf gegen die Technik geht es hier tatsächlich – am Straßenrand bei Nanstätten im Rhein-Lahn-Kreis, zehn Autominuten von der Loreley entfernt. Der ungewöhnliche Mäheinsatz ist Teil eines Pilotprojekts. „Es gibt zwei neue Mähwerke, die an den Straßenrändern bei den Mäharbeiten weniger Insekten töten sollen. Ein Teil unserer Untersuchung ist, ob wirklich mehr Insekten überleben“, erzählt der Biogeowissenschaftler Niklas Hein vom Institut für Integrierte Naturwissenschaften der Uni Koblenz. Für ihn ist der Forschungseinsatz am Straßenrand Teil seiner Doktorarbeit.

Der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM), der das Projekt finanziert, setze damit einen Teil des Koalitionsvertrags der Mainzer Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP um, berichtet Regina Nick, Leiterin der Fachgruppe Umwelt und Landespflege beim LBM. Ein Blick in diesen Koalitionsvertrag zeigt: Der Landesbetrieb Mobilität und die Obere Naturschutzbehörde – deren Interessen naturgemäß eher auseinandergehen – werden zur Zusammenarbeit aufgefordert, um mehr „naturnahe Verkehrsbegleitflächen“ zu schaffen.

Auf den Straßenrand angewendet, stehen also die Fragen im Raum: Wie lassen sich beim Mähen Naturschutz und Verkehrssicherheit verbinden? Geht das überhaupt? Und was kostet das? Eine Antwort soll der im Juli gestartete Mähtest im Rhein-Lahn-Kreis geben – auf 30 gleich großen Versuchsflächen in 30 unterschiedlichen Lagen, die den Mäh-Alltag einer Straßenmeisterei repräsentieren solle
Die Rahmenbedingungen des Zielkonflikts Verkehrssicherheit/Naturschutz sind einigermaßen klar. Auf der einen Seite steht das Insektensterben, das sich im Sommer jeder selbst herleiten kann: Es kleben viel weniger Insekten tot an den Windschutzscheiben als noch vor 20, 30 Jahren. Studien belegen diese Entwicklung. Biologen aus Krefeld konnten nach langjähriger Feldforschung 2017 nachweisen, dass die Biomasse (also die Menge) der Insekten, die ihnen an 60 Orten vor allem im Rheinland in die Netze flogen, innerhalb von 27 Jahren um etwa drei Viertel zurückgegangen war. Das berichtet die Insektenkundlerin Maura Haas-Renninger, die sich am Naturkundemuseum Stuttgart mit dem Insektensterben und dem Nutzen der Insekten für die Umwelt befasst. Haas-Renninger schrieb Anfang Mai in einer Publikation für das Museum außerdem, beim Mähen von Grünflächen würden 60 bis 88 Prozent aller Insekten getötet. Keine erfreulichen Werte.
Am Straßenrand geht es aber eben auch um die Sicherheit. Autofahrer müssen Markierungen und Katzenaugen, Schilder, Kreuzungen und Abbiegungen gut und rechtzeitig erkennen können. Und die Mäharbeiten sollen effizient und wirtschaftlich vonstattengehen. Das Vorgehen richtet sich laut LBM nach Vorgaben des Bundes. Demnach müssen Intensivflächen zweimal im Jahr gemäht werden, und zwar auf zwei bis drei Metern Breite. Intensivflächen sind zum Beispiel Banketten und Böschungen direkt an der Straße, aber auch schlecht einsehbare Kurven. Der Bewuchs darf hier nicht höher als 50
Zentimeter sein. Extensivflächen (Mulden, Gräben, Böschungen, die daran anschließen), werden einmal jährlich gemäht.

Es lärmt gewaltig am Straßenrand bei Nanstätten. Die Versuchsanordnung, die der LBM und das Team von Niklas Hein entwickelt haben, wird in die Tat umgesetzt. Der erste Unimog rollt los und mäht mit einem klassischen Mähwerk ein Viertel des Grasstreifens. Dann folgen nacheinander die beiden anderen Unimogs und mähen, mit sogenannten Öko-Mähwerken ausgestattet, je ein weiteres Viertel. Das letzte Viertel bleibt ungemäht – zum Vergleich.
Eines der beiden neuartigen Mähwerke arbeitet mit einem Striegel mit Federzinken, die knapp einen halben Meter vor dem Mähwerk pendeln. Sie sollen die Insekten aufscheuchen, bevor die Messer sie zerstückeln können. Das zweite innovative Mähwerk arbeitet mit einer Art Gebläse, schmalen Klingen, weniger Bodenkontakt sowie einer Plane an der Seite. „Die Hersteller versprechen das Blaue vom Himmel“, sagt der Doktorand Niklas Hein. „Aber man muss die Tauglichkeit nun halt auch einmal unter Freilandbedingungen testen.“
Die Wahrheit soll per Insektensauger ans Licht kommen. Nach dem Mähen hält auf allen vier Flächen je ein Student je einen Sauger in je einen quadratischen Käfig mit Wänden aus Insektennetzen. Dann wird eine Minute lang der Boden abgesaugt. Die Beute – inklusive Mähresten – wird in einem Netzstrumpf gesammelt, verknotet und später am Tag eingefroren. 120 einzelne Proben entstehen so an diesem Tag
– je vier auf jeder der 30 Testflächen. „Die werden wir in den nächsten Monaten analysieren“, erklärt Hein. Bis dahin wird unterm Mikroskop gezählt worden sein, wie viele Käfer, Spinnen, Wanzen, Zikaden, Zweiflügler, Hautflügler und Schmetterlinge nach dem Mähen noch am Boden waren. Und die Forscher werden per Blick auf die ungemähte Vergleichsfläche berechnet haben, wie viele Tiere tatsächlich rechtzeitig vor welchem Mähwerk fliehen konnten. Erst dann wird der LBM wissen, ob eine innovative Anschaffung Sinn ergibt oder eher nicht.

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